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Edna & Harvey – The Breakout: 10th Anniversary Edition
11.07.20 15:24 Test
Der moderne Point&Click-Klassiker "Edna bricht aus" bekommt dieses Jahr eine Anniversary-Edition und ist damit auch auf den Konsolen spielbar. Point&Click auf dem Controller? Wie gut dieses Vorhaben g ...
Das Hamburger Entwicklerstudio Daedalic Entertainment dürfte den meisten Menschen im Zusammenhang von bunten und schrägen Point&Click-Adventures wie „Deponia“, „Harveys neue Augen“ oder „Edna bricht aus“ ein Begriff sein. In den letzten Jahren hat sich das deutsche Studio jedoch häufiger ernsteren Themen gewidmet. Dabei rausgekommen sind Spiele wie „Säulen der Erde“, „Shadow Tactics: Blades of the Shogun“ oder auch „State of Mind“. Dieser Prozess dürfte 2021 einen vorläufigen Höhepunkt finden, denn mit „The Lord of the Rings: Gollum“ soll Daedalic – mit offizieller „Herr der Ringe“-Lizenz – den neusten Videospiel-Ableger des unglaublich erfolgreichen „Herr der Ringe“-Franchises in die Läden bringen. In dem Action-Adventure – was u.a. für die neuen Konsolen-Generation erscheinen wird – schlüpfen die Spieler*innen in die Rolle von Gollum und erleben J.R.R. Tolkiens epische Geschichte aus der Perspektive des ambivalenten Fan-Lieblings. Gollums gespaltene Persönlichkeit soll dabei auch auf die spielmechanische Ebene Auswirkungen haben und eigene, individuelle Gameplay-Elemente erfordern. Zumindest ist das der Eigenanspruch, den Daedalic bereits in mehreren Pressemitteilungen verkündet hat. Ob dieses Vorhaben gelingt wird sich im kommenden Jahr zeigen. All das ist aber noch Zukunftsmusik, spannend wird dieses Unterfangen aber allemal.

Bei der neusten Veröffentlichung aus dem Hause Daedalic dürften wiederum Nostalgiker und Genre-Liebhaber vollends auf ihre Kosten kommen: Mit der Anniversary-Edition von „Edna & Harvey – The Breakout: 10th Anniversary Edition“ bringt das deutsche Entwicklerstudio einen modernen Klassiker des Point&Click-Genres in überarbeiteten HD-Look und neuen Animationen in die Läden. Diese Veröffentlichung besitzt hinsichtlich des Produktionscharakters von „Edna bricht aus“ nochmals besonderen Charme. Dazu muss kurz ein Blick in die Vergangenheit geworfen werden: Daedalics Mitbegründer Jan Müller-Michaelis (besser bekannt als „Poki“) hat das Point&Click-Adventure vor über 10 Jahren quasi im Alleingang entwickelt und veröffentlicht. Das Erstlingswerk von Daedalic war zugleich auch die Diplomarbeit des Spieleentwicklers, welcher nach eigener Aussage alle Hintergründe, Charaktere und Animationen auf Papier gezeichnet und anschließend eingescannt hat. Diese eigene Ästhetik, gepaart mit den abgedrehten Charakteren und der schwarzhumorigen Geschichte sorgten für ein Kreativitätsfeuerwerk und bescherten dem Entwicklerstudio etliche Auszeichnungen und Lobeshymnen unter den Kritikerstimmen. Der Überraschungserfolg ermöglichte es Poki und seinem Team an weiteren Projekten zu arbeiten, was die bereits erwähnten und gleichermaßen unterhaltsame Fortsetzung „Harveys neue Augen", sowie die zum Kult avancierte Deponia-Reihe mit den Abenteuern von Rufus zur Folge hatte. Diese Erfolgsgeschichte soll nun gebührend gefeiert werden. Mit der Neuauflage von „Edna bricht aus“ stellt sich die Frage, wie gut das Abenteuer rund um Edna und Harvey gealtert ist. Machen die Neuerungen Sinn? Und hätte es überhaupt eine Neuauflage gebraucht?

Im folgenden Test wird versucht, diese (und noch viele andere) Fragen zu beantworten. Und so viel sei schon mal gesagt: „Edna bricht aus“ hat nichts an Charme verloren und präsentiert sich auch im neuen Gewand als zeitloses Beispiel feinster Videospielunterhaltung.

Sympathische Psychopathen

Erzählt wird die Geschichte der jungen Edna, die eines Tages in der Gummizelle einer psychiatrischen Klinik aufwacht. Sie selbst kann sich nicht erklären, wie und warum sie dort gelandet ist. Glücklicherweise aber hat sie ihren blauen Stoffhasen Harvey dabei, der ihr nicht nur als Gesprächspartner, sondern auch als helfende Hand zur Seite steht. Gemeinsam versuchen beide nun, aus der Einrichtung auszubrechen und dabei Klarheit über Ednas Vergangenheit zu bekommen.
Die Geschichte von „Edna bricht aus“ ist und bleibt ein ungemein sympathisches, kreatives und schwarzhumoriges Spielerlebnis, das vor allem durch die abgedrehten Charaktere und das eigenwillige Setting überzeugen kann. Jede Figur besitzt Alleinstellungsmerkmale, wodurch die Geschichte und die Spielwelt in liebevoller und unterhaltsamer Feinarbeit abgerundet werden. Außerdem hat das Point&Click-Abenteuer dadurch einen Wiederspielwert, was mitunter die überarbeitete Anniversary-Edition rechtfertigt. Vielmehr lässt sich an dieser Stelle zum reinen Inhalt von „Edna bricht aus“ auch nicht sagen, da sich dahingehend im Vergleich zur Originalversion nichts geändert hat. Dennoch: Wer sich die Geschichte von „Edna bricht aus“ bisher noch nicht zu Gemüte geführt hat, sollte dies schnellstmöglich nachholen!
Knobeln bis zum Umfallen

Grundsätzlich darf und sollte bei einem Point&Click-Adventure hinsichtlich der Steuerung nicht allzu viel Innovation erwartet werden, denn vielmehr als „pointen“ und „clicken“ steht den Spieler*innen meist nicht zur Verfügung. Dieses Prinzip ist jedoch vorrangig für das Spielen auf dem Computer ausgelegt, Konsolen-Fans mussten sich diesbezüglich bislang mit halbgaren Lösungsmöglichkeiten zufriedengeben. Daedalic versucht dieses Problem zu umgehen, indem jeder auswählbarer Gegenstand mit einem kleinen sichtbaren Feld versehen ist, das durch den rechten Stick (zumindest auf der Switch-Version) markiert werden kann. Dies benötigt zwar eine kurze Eingewöhnungszeit, danach lässt sich das Point&Click-Abenteuer jedoch recht problemlos und flüssig spielen, was für Konsolenspieler und -Spielerinnen bezüglich des Genres eine kleine Besonderheit darstellen dürfte. Der einzige Nachteil, der durch das überarbeitete Steuerungsprinzip entsteht, ist die „Vorhersehbarkeit“ der einzelnen Räume und Locations. Aufgrund der Kennzeichnung in Form der Auswahlfelder ist von Anfang an, mit welchen Objekten interagiert werden kann und mit welchen nicht. Im klassischen Setup mit Maus und Tastatur muss erst noch herausgefunden werden, welche Gegenstände auswählbar sind, was das Entdecker-Gefühl nochmals bestärkt. Da aber geradezu jedes einzelne Element in „Edna bricht aus“ eine Interaktionsmöglichkeit darstellt, fällt dieser Aspekt weniger stark ins Gewicht.

Soweit die Neuerungen. Am allgemeinen Gameplay wurde ansonsten – im Vergleich zur Originalversion – nichts verändert. So stellt weiterhin das bunte Kombinieren, Testen und Rätseln den Kern des Gameplays dar. Dabei reichen die Kombinationsmöglichkeiten ins scheinbar Unermessliche, zumindest wurde von seitens Daedalic nahezu jede erdenkliche Möglichkeit mitgedacht und mit einem lustigen Kommentar unterlegt, was das Spielgeschehen enorm unterhaltsam gestaltet. Die Liebe zum Detail kommt hier einmal mehr zum Vorschein. „Edna bricht aus“ ist zu großen Teilen nichtlinear erzählt, wodurch auch die einzelnen Rätsel nicht zwangsläufig einer Chronologie unterworfen sind. Durch dieses offene Spielprinzip kommt es durchaus vor, dass sich einzelne Passagen in die Länge ziehen, da schlichtweg die entscheidende Kombinationsidee fehlt. Ein Stück weit wird dies vom Spiel selbst vorgesehen sein, da das Rätseln ein zentrales Gameplay-Element ist. Jedoch wurde „Edna bricht aus“ in der Vergangenheit häufig vorgeworfen, dass die Lösungswege teilweise zu willkürlich erscheinen und man nur durch ewiges Herumprobieren oder mit der Hilfe von Komplettlösungen zum Ziel kommt. Da sich mit der Neuauflage aber inhaltlich nichts geändert hat, trifft dieser Kritikpunkt immer noch zu. Jedoch darf dieses Spielprinzip nicht pauschal kritisiert werden. Gerade in Zeiten, in denen AAA-Titel immer größer, bombastischer und cineastischer werden, wirkt dieses zurückgenommene Rätsel- und Knobel-Prinzip schon fast wieder erfrischend. Und natürlich kommt es hier und da zu kleineren (oder auch größeren) Frustrationsmomenten und es fällt schwer, sich den Blick in die Komplettlösung zu verwehren, dafür ist die Freude über einen Erfolg aber umso größer. Aber selbst mit Komplettlösung kann „Edna bricht aus“ auf rein inhaltlicher Ebene überzeugen. Frei von Fehlern ist das Gameplay des Point&Click-Adventures also keinesfalls und ungeduldige Spieler*innen dürften schnell an ihre Grenzen stoßen. Die Komplexität an möglichen Lösungen bringt aber aufgrund der großen Liebe zum Detail einen ungemeinen Unterhaltungswerde mit sich, der das übermäßige Herumprobieren auf sehr spaßige Art und Weise entschuldigt.

Aus Alt mach Neu

Die wohl größte Neuerung, die „Edna bricht aus“ in der Anniversary-Edition parat hält sind die überarbeiteten Grafiken und Animationen: Die gesamten optische Aufmachung des Originalspiels wurde mit neuen Texturen aufgehübscht und auf den neuesten Stand gebracht. Es besteht die Möglichkeit, während des Spielens durch ein paar Klicks in den Optionen zwischen alter und neuer Grafik zu tauschen. Wer also vollends in Nostalgie schwelgen will, besitzt dazu jederzeit die Möglichkeit. Trotzdem sollte man dem neuen Look eine Chance geben: Die Figuren wirken etwas lebendiger, die Bewegungsanimationen gehen wesentlich flüssiger vonstatten und auch die Ladezeiten präsentieren sich gegenüber dem Original wesentlich kürzer. Zudem erleichtert das überarbeitete Interface die Orientierung, was vor allem für die Konsolenversionen enorm hilfreich ist. Dadurch zeigen sich nicht nur auf rein optischer Ebene Innovationen, auch das Gameplay wird durch die kleineren, teil technischen Neuerungen positiv beeinflusst. Ehrlicherweise muss aber – rein subjektiv und auf persönlichen Vorlieben basierend – angemerkt werden, dass die klassische, originale Grafik einen unglaublichen Charme besitzt und die Welt und Geschichte geradezu perfekt einfängt. Ob eine überarbeitete Grafik als zwingend notwendig gewesen wäre, bleibt nach wie vor Geschmackssache. So darf insgesamt zwar keine Neuinterpretation oder ein rundum anderes Spielerlebnis erwartet werden, dennoch sind alle Neuerungen sinnvoll und durchdacht eingesetzt, wodurch „Edna bricht aus“ angenehm unaufgeregt up to date gebracht wird.

Leider gibt es aber keine nennenswerten Extras. Bei der Sammler Edition von 2011 konnte man sich beispielsweise einen Entwicklerkommentar zu Gemüte führen, bei der 10th Anniversary Edition hingegen bleibt ein solcher inhaltlicher Zusatz aus.
Erfahre hier, wie der Titel in unserer Wertung abgeschlossen hat.

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Erstellt von Rufus
Zuletzt online: 2 Jahre 11 Monate
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11. 07. 2020 um 15:24
14. 07. 2020 um 10:35
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